Das Kölner Erzählcafé mit Avi Applestein, Sohn zweier Shoah-Überlebender
„Meine Mutter blieb zeit ihres Lebens 14 Jahre alt.“ - Der Kölner Psychotherapeut und Sohn zweier Shoah-Überlebender Avi Appelstein erzählte Schülerinnen und Schülern des Hansa-Gymnasiums aus dem Leben seiner Familie während des Kölner Erzählcafés.
Norbert Grümme (Lehrer), 5. November 2025

Das Kölner Erzählcafé wird nun schon seit fast zwei Jahren nicht mehr in der Residenz am Dom, sondern im Bürgerzentrum Nippes im Altenberger Hof von der Leiterin Frau Vanessa Rex durchgeführt. Am Dienstag, 28.10.2025, durften 27 Schülerinnen und Schüler des Hansa-Gymnasiums gemeinsam mit ihrem Lehrer Herrn Grümme sowie seiner pensionierten Kollegin Frau Ursula Merz an den bewegenden Erzählungen des Psychotherapeuten Avi Appelstein teilhaben.
Zeitzeugenprojekte bieten jungen Menschen im direkten Austausch mit den ehemals Verfolgten einen ganz persönlichen Zugang zur Geschichte der NS-Zeit. Das Kölner Erzähl- und Begegnungscafé für NS-Verfolgte wird vom Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. seit über 20 Jahren ermöglicht. Der Bundesverband vertritt die Interessen aller NS-Verfolgten und ihrer Nachkommen. Die Betroffenen werden hier beraten, um so die Lebenssituation der Überlebenden mit sozialen Projekten zu verbessern.

Avraham Applestein wurde 1956 in Haifa, Israel geboren, wohnte einige Jahre in einem Kibbuz und bereiste später für mehrere Jahre die Welt, vor allem Asien, von Indien bis Japan. Er absolvierte verschiedene Ausbildungen mit dem Schwerpunkt auf körperorientierte Psychotherapien in der Schweiz. Seit über 20 Jahren lebt er in Deutschland und war lange Zeit Vorstandsmitglied der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln. Seine Jüdischen Eltern stammen aus Polen und wurden während der Nazi-Zeit in diverse Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert – darunter Auschwitz-Birkenau und Bergen Belsen. Das unfassbare Grauen, das beide erlebt haben, wurde auch für Avi als Kind spürbar. Jeden Tag wurde er mit den Schrecken des Holocausts konfrontiert, die Atmosphäre im Elternhaus war geprägt von der Erinnerung an Leid und Tod. So berichtete Avi u.a. von seiner Mutter, die mit 14 Jahren Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik leisten und dabei auch sexuelle Gewalt über sich ergehen lassen musste. Die Hugo Schneider AG (HASAG) war ein deutscher Rüstungskonzern, der in seinen Werken zahlreiche Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge eingesetzt hat. Sein Vater überlebte Auschwitz und einige andere Deutsche Konzentrationslager aufgrund vieler Zufälle. Ruvin Appelstein, der 1925 geboren wurde, wog 1945 nur noch 25 kg! Er lernte seine zukünftige Frau in einem DP-Lager in Bayern kennen. Beide zogen dann schon sehr bald nach Palästina und erlebten dort die Gründung des Staates Israel.
Durch die vielen Erzählungen seiner Eltern wurde die Vergangenheit auch für Avi prägend – er musste sie auf seine eigene Art verarbeiten. Als Erwachsener begann er mit einer weiterführenden Recherche über die Verfolgung seiner Familie. Seit einigen Jahren berichtet er davon als Nachkomme und Zeitzeuge. Sein Vortrag am Nachmittag war sehr eindringlich und nachhaltig. Anhand seines sehr persönlichen Berichts fördert Avi Appelstein ein tiefes Verständnis für die Geschichte der Verfolgung der Jüdinnen und Juden während der Nazi-Diktatur.