"Bei Tag Kinder im Lager in den Tod und  am Abend die eigenen Kinder ins Bett bringen"

Zum 7. Mal unternimmt das Hans-Gymnasium Köln im Frühjahr 2018 eine Gedenkstättenfahrt mit 30 Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe. Die Schülerin Paula Fee Schirmer (Stufe 10) beschreibt einen Teil ihrer Erfahrungen auf dieser besonderen Studienreise.

Unsere Studienfahrt startete das erste Mal überhaupt in Berlin und nicht in Oświęcim wie die Jahre zuvor. Das war eine gute Idee, denn so war es eine Art sanfter Einstieg. Zwar haben wir uns in Berlin auch mit dem Holocaust auseinandergesetzt, aber es war noch nicht so tiefgreifend, nicht so emotional wie das, was wir ein paar Tage später erfahren würden.

Unser Programm fing auch unmittelbar nach unserer Ankunft an. An diesem besonderen Tag, dem 27. Januar besuchten wir das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, kurz Holocaust-Mahnmal genannt. Offiziell heißt dieser Tag "Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts" und wird seit 2006 weltweit begangen.

Die zum Holocaust-Mahnmal dazugehörige Ausstellung war sehr berührend, auch wenn es "nur" ein Museum war. In einem Raum waren Briefe ausgestellt, die Menschen aus Ghettos oder Konzentrationslagern ihren Angehörigen kurz vor ihren Tod geschrieben hatten. Für mich persönlich war es ziemlich erschütternd, diese zu lesen. Diese Menschen trugen so viel Hoffnung in sich. Gerade weil sie dachten, sie könnten bald nach Hause fahren und ihre Familien wiedersehen, war das so ergreifend für mich.

Am nächsten Tag besuchten wir, nach einer eigens von unseren Lehrern durchgeführten Stadtführung, die Ausstellung „Topographie des Terrors“. Sie basiert auf den im Dritten Reich bestehenden Zentralen der Gestapo, der SS und des Reichssicherheitshauptamts. Alle damaligen Gebäude sind im Krieg zerstört worden und es stehen nur noch Trümmer von ihnen, die man besichtigen kann. Die Ausstellung befindet sich in einem Neubau, der eigens dafür erbaut wurde. In den modernen Räumen werden die Verbrechen der SS und Gestapo mit vielen Bildern, Tonaufnahmen und Filmen dokumentiert.
Am darauffolgenden Morgen fuhren wir zunächst mit unserem Bus zum Berliner Bahnhof Grunewald. Der Bahnhof, der heute unter Denkmalschutz steht, war in den Jahren 1941 bis 1945 ein Ort, von dem aus viele Menschen in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagerlager im Osten deportiert wurden. Über 50.000 Berliner Juden wurden von Grunewald sowie dem Güterbahnhof Moabit aus verschleppt, allein in die Todesfabrik Auschwitz fuhren 35 Züge mit insgesamt 17.000 Passagieren ab.

Wir gingen zu Gleis 17, welches heute ausschließlich als Gedenkstätte genutzt wird. Wir hörten zunächst ein Referat über die Hintergründe der Deportationen der Berliner Juden von diesen beiden Bahnhöfen. Dann verlasen wir jeden einzelnen Zug, hörten von der genauen Zahl der in diesem Zug verschleppten Menschen und seinem Bestimmungsziel. Was mich persönlich ziemlich mitnahm, war, dass von den anderen Gleisen immer noch Züge fuhren. Während wir den Opfern gedachten, hörte man die ganze Zeit das Scheppern der Züge. Es fühlte sich fast so an, als könnte jeden Moment auch ein Zug bei Gleis 17 einfahren.

Nach einer Zeit des Schweigens und Gedenkens fuhren wir schließlich weiter nach Polen, genauer nach Oświęcim. Der deutsche Name dieser Kleinstadt lautet Auschwitz. Er steht heute allgemein für die systematische Ermordung von insgesamt über 6 Millionen Europäischer Juden. Zugleich beinhaltete er einen großen Lagerkomplex, der aus verschiedenen Konzentrationslagern sowie dem Vernichtungslager in Birkenau bestand.

Als wir in der heutigen polnischen Stadt Oświęcim ankamen, fuhren wir am Abend auch an dem Stammlager von Auschwitz vorbei. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie groß das Gelände ist, wie viele Baracken dort stehen, wie viel Platz dort ist. Die Größe des Lagers wurde am nächsten Tag, an dem wir das Stammlager besichtigten, noch greifbarer. Auch wenn die Räume eher an ein Museum erinnern, war es sehr emotional, besonders ein Raum wirkte sehr ergreifend: Dieser Raum enthielt nichts außer einer Art Buch, viele Blätter, auf denen die Namen all derer standen, die in Auschwitz ihr Leben ließen. Alle machten sich gleich auf, den eigenen Familiennamen zu suchen. Als ich sah, dass mein Name fast eine halbe Seite einnahm, begriff ich erstmals das wirkliche Ausmaß des Holocaust. Mein Name ist kein häufiger und ihn dann dort so oft stehen zu sehen, lässt annähernd begreifen, wie viele Menschen damals ermordet wurden. Der erste Tag im Stammlager war schon hart, der zweite in Birkenau aber war noch schwerwiegender, denn in Birkenau schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Baracke reihte sich an Baracke, von innen und von außen sehen sie heute aus wie damals. Man fühlt sich in die Zeit vor über 70 Jahren zurückversetzt.

Da wir am ersten und zweiten Tag mit einem Guide unterwegs waren, der uns mit Informationen versorgte, hatten wir nicht viel Zeit, alles richtig auf uns wirken zu lassen. Diese Zeit bekamen wir, als wir alleine als ganze Gruppe mit unseren Lehrern Frau Rehmsmeier-Lampa, Herrn Eles und Herrn Grümme das Lager in Birkenau durchstreiften konnten und vor allem durch Referate unserer Mitschüler sowie einzelner von uns vorgelesener Zeitzeugenaussagen von Tätern und Häftlingen persönliche Geschichten gehört haben. Aber auch ohne unsere Lehrer konnten hatten wir die Gelegenheit, uns einzelne Bereiche des Lagers genauer anzugucken und zu begreifen - zumindest versuchten wir zu begreifen.

Selbstverständlich ließen wir die Nachmittage auch nicht ungenutzt verstreichen. Am ersten Tag besuchten wir nach dem Besuch des Stammlagers die Synagoge der ehemaligen jüdischen Gemeinde Oświęcim. Zwar lebe kein einziger Jude mehr in Oswiecim, erklärte uns der junge Österreicher, der die Führung leitete, aber die Synagoge sei für reisende Juden gedacht, die Auschwitz besuchten und einen Ort zum Beten brauchten. In der Synagoge durften wir auch versuchen den Schofar, das jüdische Widderhorn zu spielen, was allerdings nur bei den wenigsten wirklich klappte.

Am zweiten Tag wurde ein Workshop in unserer Unterkunft, dem Zentrum für Dialog und Gebet angeboten. Hierbei beschäftigten wir uns exemplarisch mit den Tätern, die für all das Leid in Auschwitz verantwortlich sind. Mengele - Moll - Eichmann, aber auch die einfachen Wachmannschaften der SS - Menschen, die zu Tätern in der Todesfabrik von Auschwitz wurden. Wir haben uns mit den Geschichten hinter den SS-Männern auseinandergesetzt und wir fanden heraus, dass sie Familien hatten, Kinder, Frauen. Das diese Leute bei Tag Kinder in den Lagern in den Tod und bei Nacht ihre eigenen zu Bett bringen konnten, ist für uns unbegreiflich. Der SS-Arzt Josef Mengele, der die Kinder mit Bonbons in den Tod lockte! Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ganz normale Menschen so grausam sein können. Die Beschäftigung mit Mengele und anderen Tätern von Auschwitz war hart und braucht Zeit verarbeitet zu werden.

Ein Beispiel, wie man so etwas verarbeiten kann, sehen wir am nächsten Tag im Kloster der Franziskaner von Oświęcim. Dort sind die Bilder des Künstlers Marian Kołodziej ausgestellt. Er kam als 18-jähriger mit dem ersten Häftlingstransport nach Auschwitz und erhielt die Nummer 432. Im Lager war er verschiedenen Kommandos zugeordnet und hat diese "Hölle von Auschwitz" bis Ende 1944 überlebt, wurde dann im Rahmen der Evakuierung in das KZ-Groß-Rosen und dann nach Buchenwald verlegt. Stark traumatisiert begann er 50 Jahre nach seiner Befreiung über seine Zeit im Konzentrationslager zu sprechen und seine Erlebnisse und Eindrücke in Kunstwerken auszudrücken. Seine Zeichnungen sind sehr außergewöhnlich. Abstrakt und klar zugleich stellt er den Schrecken und das Trauma von Auschwitz dar. Man kann man sich kaum sattsehen, es gibt so viel zu entdecken. Die Ausstellung mit dem Titel "Labyrinth" war wirkungsvoll gestaltet und sah weniger aus wie ein Museum, vielmehr wie ein Ort aus einem Film. Die Ausstellung und der Künstler sind beide etwas ganz Besonderes und auf jeden Fall ein Teil der Reise, an den ich - trotz der dargestellten Schrecken - gerne zurückdenke.

Als wir Oświęcim verließen und nach Krakau fuhren, hatten wir viel zum Nachdenken und Verarbeiten. Wir brauchten Zeit, um uns von den Schrecken Auschwitz zu erholen. Und diese Zeit bekamen wir zum Glück in Krakau.

Krakau erlebt man wie im Traum, wenn man gerade aus der Tristesse des Ortes Auschwitz kommt. Bunt und fröhlich erinnert mich diese Stadt an unser Köln. Alle Menschen scheinen herzlich zu sein und ihre Stadt zu lieben, eben wie wir Kölner. So war auch unsere Stadtführerin Margareta. Voller Freude und Elan zeigte sie uns das ehemalige jüdische Viertel Krakaus, den Stadtteil Kazimierz, der früher eine eigene Stadt war. Wir gehen durch mittelalterliche Gässchen und an barocken Gebäuden entlang. Krakau wurde im Krieg nicht zerstört und deshalb sieht es dort teilweise noch aus wie vor hunderten von Jahren. Trotz der allgegenwärtigen Geschichte wirkt die Studentenstadt mit über 200.000 Studierenden sehr modern und weltoffen.

Am zweiten Tag in Krakau und dem letzten Tag unserer Reise begann unser Tag nach einem ausgiebigen Frühstück mit einer Stadtführung zum Schloss, das über der Stadt thront. Vom Wawel aus - so heißt dieser Hügel, auf dem das Schloss steht - hat man einen großartigen Blick über die Stadt und die Weichsel. Unsere Stadtführerin erzählte uns viele Geschichten und Anekdoten, mit denen die Führung sehr angenehm und lustig wurde, trotz der Kälte, die in Krakau herrschte.
Nach der Stadtbesichtigung besuchten wir die Schindler-Fabrik, den Ort, an dem Oskar Schindler viele Juden vor dem sicheren Tod rettete, indem er sie in seiner Fabrik beschäftigte. Die ehemalige Fabrik ist heute ein Museum, das in einer ständigen Ausstellung Krakau zur Besatzungszeit der Nationalsozialisten zeigt. Es war sehr spannend und interessant und für einige von uns ein weiterer Höhepunkt der Reise.

Am nächsten Tag machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Ich freute mich auf Zuhause, doch Krakau hatte mir so gut gefallen, dass wir von mir aus noch ein paar Tage dort hätten bleiben können. Als wir bei unserer Ankunft in der Stadt Krakau gerade mit dem Bus in die Stadt hineinfuhren, sagte Herr Grümme: “Krakau macht süchtig.” In dem Moment wirkte das wie ein Witz, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Krakau ist eine so beeindruckende, fröhliche und lebendige Stadt. Gleich nachdem wir im Bus saßen, wollten wir alle auch schon wieder zurück in diese wunderbare Stadt.

Auch wenn die Fahrt sehr ergreifend war und uns allen viel Stoff zum Verarbeiten mit auf den Weg gegeben hat, war es eine großartige Erfahrung, die ich jedem, der die Chance dazu hat, auch empfehlen würde. Trotz der Thematik des Holocausts, der die ganze Zeit wie eine dunkle Wolke über uns schwebte, hatten wir in Berlin und Krakau auch viel Spaß. Für mich persönlich war es eine sehr berührende und besondere Erfahrung und ich bin dankbar, dass ich dabei sein durfte.
Und diese Dankbarkeit spreche ich sehr gerne auch der Stiftung "Erinnern Ermöglichen" bzw. der hinter ihr stehenden Bethe-Stiftung aus, die diese Fahrt überhaupt erst ermöglicht hat. Ohne die finanzielle Unterstützung wäre es unserer Schule nicht möglich, diese Fahrt schon seit so vielen Jahren anzubieten. Vielen Dank im Namen der gesamten Gruppe, den Schülern und Lehrern, die mit auf dieser Reise waren.

Paula Fee Schirmer (Schülerin)